Dialog mit Willi Kemp

2018-06-12T00:57:08+02:00 Mai 10th, 2018|Veröffentlichungen|
Strom

Strom, 2000, 196 x 121 cm, Ölfarbe, Tempera und Wachs auf Sperrholz-Chassis

Buddhist singt

Buddhist singt, 2001, 196 x 121 cm, Ölfarbe, Tempera und Wachs auf Sperrholz-Chassis

W. K.: Wir haben uns vor mehr als 15 Jahren über Deine Bilder unterhalten und daran möchte ich anknüpfen. Damals warst Du auf der Suche nach einer Dynamik im Bild, die Du durch die Malerei erreichen wolltest.  Im Bild „Linca“ von 1995 hat Du noch die „Farbe flattern“ lassen.

Kürzlich haben wir in Deinem Atelier die beiden Bilder „Strom“ und „Buddhist singt“ nebeneinander gehängt, um darüber zu reden.

Was mich am Bild „Strom“ fasziniert hat, ist die Ruhe, die das Bild vermittelt. Das hängt einmal mit der Farbgestaltung, zum anderen mit der Form zusammen. Beide Farben sind unaufgeregt. Die Strichführung im unteren Bereich verläuft waagerecht ohne jede heftige Diskrepanz. Auch das Verhältnis zwischen oben und unten ist ausgewogen und in sich harmonisch. Der Titel „Strom“ kann also nur auf das ruhige Strömen, beispielsweise  eines Flusses hinweisen. Genauso gut kann es  das langsame Vorbeigleiten von Erinnerungen oder Bilder sein. Wenn man jede Assoziation fernhält, dann ist die Ruhe in der Bewegung das im Titel Gemeinte.

Das zweite Bild trägt den Titel „Buddhist singt“. Das Bild hat die gleiche Größe wie „Strom“ und ist in der gleichen Technik gemalt und doch ist es völlig unterschiedlich in Farbe und Form. Das Bild erinnert an einen Spiegel, der aber nichts widerspiegelt. Er erscheint insoweit auf den ersten Blick leblos. Ich meine nicht tot, weil die helle Farbe dagegen spricht. Er ist nur inaktiv, ruht also in sich. Auch von diesem Bild geht eine Ruhe aus. Die blau eingerahmte Fläche bleibt still. Es gibt kein Formgewitter und keine Farbexplosionen. Der Titel deutet auf E i n tönigkeit hin, weil  e i n  Buddhist singt. Also auch hier der Versuch, mit den Mitteln der Malerei eine Stimmung der inneren Ruhe im Sinne einer Ladung, d.h. einer gespeicherten Energie zu erzeugen.

Ich frage mich: hat diese Hinwendung zur Ruhe im Bild etwas mit einer veränderten Sicht auf die Welt zu tun? Denn einmal bist Du inzwischen älter geworden und zum zweiten hast Du Dich intensiv mit dem Fernen Osten auseinandergesetzt. Du hast Asien bereist, hast die Kultur und die großen Religionen in China und Japan kennengelernt und dadurch eine andere Sicht auf das Leben und unser Dasein bekommen. So etwas schlägt sich in den Bildern eines Künstlers nieder, wenn er die Kunst als Reflex auf die ihn umgebende Welt versteht und ansieht.

Noch eine Bemerkung: Wenn man beide Bilder nebeneinander sieht, wird dann die Aussage potenziert? Ich meine: nein, weil die Gegensätzlichkeit zwischen den beiden Bildern in Form und Farbe wieder zu einer Spannung führt, die die innere Ruhe stört. Das wird dann der Fall sein, wenn man beide Bilder dicht nebeneinander hängt. Vergrößert man den Abstand zwischen den Bildern, dann wird die innere Ruhe wieder erfahrbar. Es sollte also kein Funke zwischen den beiden Bildern überspringen, sondern jedes Bild sollte seine eigene Aura bewahren, damit das „In-sich-Ruhen“ nicht gestört wird und damit verloren geht.

M. G.: Beide Bilder, „Strom“ und „Buddhist singt“ geben meiner Meinung nach ein vorzügliches Paar ab. Ihre Ruhe, ihre Ladungen wirken katalytisch aufeinander. Beide Bilder zeigen je zwei Flächen. „Strom“ wird wegen der horizontalen Teilung gern landschaftlich wahrgenommen. „Buddhist singt“ vielleicht sogar als das Trompe-l’œil eines gerahmten Spiegels. Das sind Optionen für Betrachter, die von der Kunst emblematische Feststellungen erwarten. Man kann darüber hinaus auch darauf kommen, sich ganz der Physis der Tafeln auszusetzen. Die Ausstrahlung, die das so oft aufgetragene und wieder geschliffene, das geölte, gewachste, gestreichelt und geschmeichelte („gesalbte“) Farbmaterial selbst bietet, hat nichts theoretisches.

Die Farbe IST. Und sie klingt, schwingt, dröhnt vielleicht, wie so ein großer Gong…..

Ich bin recht stolz auf diese beiden Bilder und halte sie für bedeutende Arbeiten von mir. „Buddhist singt“ habe ich übriges eigens als Pendant für „Strom“ gemalt. Du erinnerst Dich bestimmt, dass wir damals eine Arbeit austauschen wollten, die Dir nicht so gefallen hat. Ich empfehle, die zwei Tafeln als ein Paar zu sehen. Ein Paar, das für Dich gemalt worden ist und das untrennbar sein sollte.

Die Proportion der Bilder sind über die Fibonacci – Reihe ermittelt worden. Das mache ich schon viele Jahre mit fast allen Formaten. Ich kam darauf, als sich zu Beginn meiner Zeit auf der Raketenstation für mich die Frage aufwarf, ob sich das so genannte Alleinstellungsmerkmal meiner künstlerischen Arbeit allein darin erschöpft, eine aufwändige Maltechnik zu verwenden. (Du kennst ja das Prozedere vom Erzählen: Auftragen und Schleifen und so weiter. Und Du weiß ja auch, dass die aufwändige Technik noch lange keine Bedeutung schafft.)

Um also der Frage nach diesem Alleinstellungsmerkmal meiner Kunst nachzugehen habe ich mir damals folgende Aufgabe gestellt: Versuche Bilder zu malen, die möglichst in allen Bezügen einen „ klassischen“ Standart darstellen. Standart bis zur Langeweile: Öl auf Leinwand, Landschaft, Goldener Schnitt. Es sind ja in Jahrhunderten unzählige Bilder gemalt worden, die diese Kriterien erfüllen. Was diese Reihe von  Arbeiten dann von denen anderer Künstler unterscheidet, das ist der Nachweis meines persönlichen Blickwinkels.

Und so habe ich begonnen, den Himmel über der Raketenstation  (der damals noch ganz frei und hoffnungsvoll war) zum Anlass für mein Malen zu nehmen, mit Ölfarbe auf Leinwänden zu arbeiten (was ich Jahre zuvor aufgegeben hatte, um meine „Klotz“ -Arbeiten zu machen)  und die Fibonacci – Reihe  zur Formatbestimmung zu nutzen (wo ich zuvor entweder Quadrate oder absichtlich „regelwidrige Unformate“ genommen hatte). Ich habe die Anwendung dieser sehr interessanten Zahlenreihe immer verheimlicht, weil sie – genial und rätselhaft wie sie ist – natürlich schon oft und oft auch fragwürdig vereinnahmt worden ist. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass meine Bilder mit einem esoterischen Etikett versehen werden. Das hat ja dann auch wunderbar funktioniert!

Aus der Frage nach dem „Alleinstellungsmerkmal“ meiner Bilder ist diese Hombroicher Reihe entstanden, von der Du auch einige sehr schöne Exemplare besitzt. Sie sind auch in einem Deiner Bücher abgebildet. Ich kann jetzt leider nicht nachschauen. Ich war dann ganz zufrieden mit den Ergebnissen meiner Selbstüberprüfung, hatte dann aber auch genug von der Leinwand, weil sie die von mir so dringend verlangte Körperlichkeit in ihrer „Flatterhaftigkeit“ nicht in gewünschter Weise bieten konnte. Auf den Leinwänden hatte ich immerhin gelernt, mich den vielfältigen Erscheinungen des Hombroicher Himmels auszuliefern und breite Pinsel in weiten Gesten zu führen: Wolken, Sommersonnenuntergänge, Regentage, raumtiefes Grau. All diese Eindrücke waren sehr flüchtig. Ich lernte schnell zu erfassen und umzusetzen (parallel dazu entstanden in Südtirol die Wolkensteno´s) und pingelig zu sein, wenn es um die Nuancen der Farben ging.

Als ich mich entschied, wieder auf „mein“ Materialsystem umzusteigen, habe ich die weiten Gesten, die pingelige Wahl der Farben und die Fibonacci-Hochformate „mitgenommen“. Des Weiteren hatte ich die Notwendigkeit erkannt, die Sperrholz-Chassis, auf denen ich male, weiterzuentwickeln. Nämlich vom simplen „Kasten“ hin zu dem nach hinten schräg zurückspringenden Chassis, das es dem Betrachter ermöglicht, die (behauptete) Zweidimensionalität der Malflächen leichter zu akzeptieren. Ein an die Wand gehängter „Kasten“ zeigt ja überdeutlich auch seine Seiten, wenn diese nicht etwa durch einen Rahmen abgeblendet werden. Erst ein Rahmen – über den Rand eines Bildes gelegt – macht aus der Leinwand, die ganz wie eine Art Zelt über einen Keilrahmen gespannt ist eine definierte Fläche (zweidimensional).

Und auf dieser Fläche kann z. B. die Farbe, Raum und Bewegung behaupten, was manche Menschen als Illusion, andere als eine geistige Möglichkeit bezeichnen würden.

Ich hatte in meinen Reihen „Raumschiffe“ und „Vögel“, in denen ich mehr oder weniger rechtwinklige Flächen über einen farbigen Fond verteilt hatte eigentlich immer vermieden eine Binnenfläche zentral ins Format zu setzten, weil so ein „Rahmen“ entstehen würde.

Aber wie so oft entsteht bei der Vermeidung eigentlich erst das Verlangen. Also gab ich eines Tages nach und habe den „Rahmen“ zugelassen. Zuerst, indem ich nun das „fliegende“ Rechteck zentral ins Bild setzte, später dann indem ich gezielt einen Trompe-L’oil – Rahmen malte.

Interessanterweise wurde durch diese illusionierte Rahmung die Dinglichkeit des Bildes wieder verstärkt. Da ist eine Absurdität, die mir sehr gefällt. Es sind ja Bilder immer auch Weltbilder und die müssen ja absurd sein, so unfasslich wie die Welt nun mal ist.

Aurora 4

Aurora 4, 2015, Linolschnitt/ Irismonotypie auf Papier

Aurora 6

Aurora 6, 2015, Linolschnitt/ Irismonotypie auf Papier

Die „Aurora“ – Drucke sind der vorläufige Stand der Entwicklung. In dieser Reihe habe ich versucht, möglichst viel in der Organisation  des Bildes möglichst genau und möglichst technisch zu definieren. Und zwar so, dass die angestrebte Bedeutung der Serie maßgeblich durch den Prozess der Herstellung bedingt wird. Dabei habe ich bei der Wahl der Druckverfahren Wert auf eine sehr stoffliche Qualität gelegt. Der Linolschnitt (das ist der Rahmen) ist wunderbar haptisch und zugleich sehr präzise. Die Druckfarbe wird beinahe fett auf das Papier aufgebracht. Sie steht auf dem Papier. Die Irismonotypie (das ist der Farbverlauf der Fläche) ist im Sinne des Wortes einzigartig. Jeder Verlauf kommt als Monotypie eben nur einmal vor. Es gibt kein Raster in diesen Abzügen! Die Druckfalbe sinkt so in das Blatt ein, dass sich die faserige Struktur des Papiers zeigt. Die Beschaffenheit, die Körperlichkeit des Blattes wird sichtbar.

Das Format des Papiers ist schlicht durch die Vierteilung des Rohbogens bestimmt. Der Druck ist mittig gesetzt. Proportion des Druckes: Fibonacci. Und obwohl alles so „standardisiert“ ist, entsteht durch das stoffliche Zusammenspiel der Druckfarbe mit dem Papier ein ganz eigentümliches Farberlebnis.

Ich meine, dass sich die „Daseinsberechtigung“ der Malerei in Zeiten neuer Medien besonders aus einer ihr zugrunde liegenden Körperlichkeit (…) erschließen lässt. Betrachter und Bild stehen sich als Körper gegenüber.

Solange wir noch keine verkabelten Gehirne in Einmachgläsern sind, ist die Spiritualität der Physis oder die Physik der Spiritualität untrennbar mit unsere Ich-Erfahrung verbunden!

16.6.2016/ Dezember 2017