SCHWARZEIS

2018-06-12T00:58:31+02:00 Mai 8th, 2018|Gedanken|
  • Schwarzeis

„Schwarzeis“ nennt man eine besondere Qualität von Eis: Schnell und klar gefroren und deshalb besonders glatt und tragfähig.  Es ist durchsichtig. Das meiste Licht wird nicht reflektiert, es dringt in die Tiefe des Wassers unter dem Eis, weshalb die Fläche dunkel – oft eben schwarz erscheint. Die gefrorene Oberfläche des Wassers hat sich in eine schwingende Haut verwandelt. Nur scheinbar erstarrt, ist die Eisfläche immer in Bewegung, immer ein Prozess. Es knirscht und kracht. Es dröhnt und brummt. Der See gleicht einer riesigen Trommel. Auf dieser kalten Trumm umherzusausen, sozusagen für die dunkele Bodenlosigkeit unerreichbar, ist für die Schlittschuhläufer ein besonderer Tanz.     

„Schwarzeis“ ist spiegelglatt. Der Tanz auf diesem Trommelfell ist ein Sinnbild des trotzigen Lebens. Denn die Undurchdringlichkeit der Eisfläche und die Erfahrbarkeit der Tiefe des Wassers üben starke Reize aus. Die kalte dunkle Tiefe ist tödlich! 

Auf den erstarrten Wasserspiegel, auf das Eis schreibt der Schlittschuhläufer seine Signatur. Diese Spur ist vergängliche Selbstbehauptung. Das Selbst im Spiegelbild hat eine kurze Halbwertzeit. Das Scater –Tattoo schmilzt, wird weggewischt wie die Selbstgewissheit. 

„Glattes Eis, ein Paradeis, für den der gut zu tanzen weiß“, so der Philosoph. (*1)Denn es gibt keinen selbstverständlichen Halt, alles kann brechen, alles kann ausrutschen. 

Schwarzeis ist mir wie ein Wort aus dem rätselhaften Kinderreim „Dunkel war´s, der Mond schien helle…“ vorgekommen.                                                                  Schwarz und Weiß, Pole der Helligkeit, Licht und Nacht, Gegensätze, die in diesem Wort eine schicksalhafte Verbindung eingehen.

Grisaille 

Das Material des Malers ist nun eigentlich die Farbe.

Den sogenannten starken Farben unterstellt man Kraft und emotionalen Gehalt. Dagegen wird dem Grau eine gewisse Nüchternheit, bis hin zur Tristesse nachgesagt. Es wird zwischen Schwarz und Weiß gesehen. Es sei nicht Fisch, nicht Fleisch. Ganz ein Todpunkt. Im dem Augenblick, in dem Licht und Dunkel sich gleichen, sei das Grau. 

Grau von diesem Urteil zu rehabilitieren ist die Motivation zur Grisaille. In der Beschränkung auf die vermeintliche Mitte zwischen Hell und Dunkel zeigen die Maler gern die unendlichen Möglichkeiten zur Nuance, die zu sehen die Voraussetzung für die Wahrnehmung ist. Sie existiert seit dem 13. Jahrhundert in der abendländischen Kunst. Beispielsweise als Vor – Bild vor dem Klappaltar oder als Raumstudie.

Don Luigi küsste dem Bischof die Hand. „Ich habe“ sagte der Bischof, „ nur dieses eine Licht bringen lassen…“, er deutete auf den fünfarmigen Leuchter, den der Bediente, der Don Luigi herbegleitete, auf dem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Mit der nachfolgenden Bewegung wies der Bischof auf den anderen Stuhl, Don Luigi nahm Platz, „…ich hoffe, es ist Ihnen nicht zu dunkel. Ich liebe es, wenn ich sehe, wie es dunkel wird.

Ich weiß nicht, ob Sie das jemals beobachtet haben; es ist nichts besonderes, aber es fällt mir auf: Jetzt ist es trotz der Kerzen im Zimmer noch dunkler als draußen. Die Fenster schneiden ein helles Viereck in die Wand. In einer Stunde längstens ist das Licht der fünf Kerzen hier heller, weil es draußen Nacht sein wird. Die Fenster sind dann schwarze Vierecke in der hellen Wand.

Glauben Sie mir, dass es mir noch nie gelungen ist, den Moment zu beobachten, in dem das Licht, wenn man so sagen kann, umkippt? Es muss doch einen solchen Moment geben, wo das Licht nicht mehr von draußen herein tritt, aber auch noch nicht von innen hinaus. Doch immer ist es so: man schreibt, man redet mit jemandem, man denkt oder man betet – und wenn man aufschaut ist es schon vorbei.“  (*2)

Hier wird eindrücklich beschrieben, wie leicht uns in Alltag und Routine die magischen Momente der Wahrnehmung entgehen können. Daß im Alltäglichen auch das Phantastische schlummert, daß sich das einfache Fensterviereck als eine Schleuse für die Gezeiten des Lichts erweißt, das setzt die Fähigkeit zu staunen voraus.

Auf dem gefrorenen See wird Sport getrieben. Die Kufen kratzen, knistern und zischen Spuren. 

Trommelfell und der Resonanzkörper, Fläche und Raum werden zusammen zu einem Klang. In dessen Widersprüchlichkeit ist Kraft. 

(*1) aus „Die Fröhliche Wissenschaft“ Friedrich Nietzsche 

(*2) aus „Das Zwergenschloß“, Herbert Rosendorfe